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NATUR+PHARMAZIE 2/2020

Ungeklärte Fragen beim Upshaw-Schulman-Syndrom (TTP)

Die hereditäte TTP (Upshaw-Schulman-Syndrom) ist eine seltene, autosomalrezessiv vererbte Erkrankung. Man kennt fundamentale Faktoren der Pathophysiologie, aber bei allen Aspekten, von Diagnose bis Therapie, gibt es erhebliche Defizite. Vor der Forschung liegt noch ein langer Weg.
Eine Hämatologin vom Inselspital in Bern und ein Epidemiologe der Universität in Oklahoma City haben den derzeitigen Wissensstand zu diesem Krankheitsbild zusammengetragen.
 
Lange Vorgeschichte
Im Jahr 1924 wurde eine akut verlaufende, tödlich endende Krankheit beschrieben, die durch systemische mikrovaskuläre Thrombosen gekennzeichnet war. 1947 wurde diese Thrombosierung als Ursache der parallel ablaufenden Thrombopenie erkannt und die Bezeichnung TTP geprägt, um diese Entität von der immunogenen thrombozytopenischen Purpura (ITP) abzugrenzen. 1966 hielt man noch alle Fälle von TTP für erworbene Erkrankungen. Die erbliche Ätiologie (autosomal rezessiv) wurde 1975 beschrieben. Man erkannte auch, dass exogene Faktoren wie Infektionen oft der Auslöser für akute Episoden von Thrombopenie und Hämolyse sind.
Später wurde eine Verlaufsform als „chronisch rezidivierende TTP“ definiert. Sie ließ sich mit Plasma-Infusionen behandeln. 1982 entdeckte man im Plasma solcher Patienten extrem große Multimere des von-Willebrand- Faktors (er ist das Trägerprotein des Gerinnungsfaktors VIII).
Bei gesunden Probanden werden diese Multimere offenbar zerkleinert, und zwar von einer Protease, die die Bezeichnung ADAMTS13 erhielt. Bei erworbener TTP entsteht ein Defizit an diesem Enzym bzw. seiner Funktion durch Autoantikörper. Bei hereditärer TTP basiert ein kongenitaler Mangel an ADAMTS13 auf biallelen Mutationen des Gens ADAMTS13.
Wenn die Proteolyse des Gerinnungsfaktors, den Endothelzellen und Megakaryozyten synthetisieren, im Blut ausbleibt, kommt es zu Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten und in der Folge zu Mikrothromben.
Patienten mit hereditärer TTP, denen die ADAMTS13-Aktivität fehlt, können jahrelang asymptomatisch bleiben. Bei Infektionen, Entzündungsprozessen oder Schwangerschaft nehmen die Konzentrationen des atypischen von- Willebrand-Faktors zu; die Folge sind Thrombosen. Stumme Hirninfarkte können auch ohne Zunahme des Faktors im Plasma entstehen.
 
Prävalenz
Wie viele rezessiv vererbte Krankheiten ist die hereditäre TTP selten – aber wie selten? Oft wird eine Prävalenz von 0,5 bis 2 Fällen pro Million Menschen zitiert. In Norwegen fand man aber eine viel größere Häufigkeit (16,7 pro 1 Million). Das Vorkommen hängt wohl u. a. mit dem Ausmaß der Isolation einer Bevölkerungsgruppe zusammen. Insgesamt dürfte die Prävalenz aber beträchtlich über 1:1 Million liegen.
 
Erbmuster
Bisher wurden mehr als 200 Mutationen des Gens ADAMTS13 identifiziert. Zudem gibt es mindestens zehn Singlenucleotide- Polymorphismen (SNPs), die die Funktion des Gens beeinflussen können. Die meisten der Mutationen kommen nur in einer einzelnen Familie vor. Einige Mutationen häufen sich in verschiedenen geografischen Regionen. Die Mutation p.R1060W lässt eine Restaktivität des spaltenden Enzyms zu. In homozygoter Form registriert man im Plasma 5 bis 10% der normalen Funktion. Diese Variante geht oft mit einer Manifestation des Leidens erst im Erwachsenenalter (z. B. während der ersten Schwangerschaft) einher.
 
Variable Klinik
Die Symptome einer hereditären TTP können zu sehr unterschiedlichen Zeiten auftreten. Das größte Risiko besteht einerseits in den ersten Lebenstagen und andererseits in der Schwangerschaft. Neonaten zeigen einen Ikterus infolge Hämolyse und brauchen meist Austauschtransfusionen. Diese Episoden können letal verlaufen.
Beim Auftreten in der Schwangerschaft muss man mit schweren Komplikationen rechnen. Entzündliche Prozesse, Traumen und Alkohol-Exzesse können Thrombosen auslösen; sie kommen aber auch ohne erkennbaren Trigger vor. Mikrovaskuläre Thrombosen können auch ohne klinische Symptome verlaufen.
Herzinfarkte sind bei hereditärer TTP selten, im Gegensatz zu ischämischen Apoplexien. Diese Diskrepanz ähnelt der bei Sichelzellkrankheit. Akute und chronische Niereninsuffizienz mit Progredienz zur Dialysepflicht registriert man bei einigen Prozent der Patienten. Über die Langzeit-Prognose der Patienten ist wenig bekannt. Den meisten Krankengeschichten ging man nicht bis zum Lebensende nach. Die Ursachen einzelner berichteter Todesfälle waren Niereninsuffizienz und Apoplexie.
Manchmal fällt zuerst eine Purpura (rote Flecken) z. B. an Armen und Beinen auf. Später können Zeichen einer Apoplexie dazukommen.
 
Stand der Therapie
Akute Episoden lassen sich meist mit Plasma-Infusionen beherrschen. In schweren Fällen, z. B. in der Schwangerschaft, braucht man manchmal aber Plasmaaustausch. Wenn die Symptome rezidivierend auftreten, werden wiederholte Plasma-Gaben über die Lebenszeit empfohlen. Es kann aber schwer sein zu entscheiden, wann man damit anfangen sollte, vor allem bei Kindern.
Die Halbwertszeit der Aktivität von mit Plasma zugeführtem ADAMTS13 beträgt 2,5 bis 3,5 Tage. Sie liegt damit etwas über der von rekombinantem humanem Enzym (rhADAMTS13). Um ein Minimum an Aktivität in der Zirkulation zu sichern, dürften Plasma-Infusionen alle zwei bis drei Wochen ausreichen. Wie viel nötig ist, um langfristig Schäden an inneren Organen zu verhindern, ist unbekannt.
Für Therapie und Prophylaxe bei hereditärem TTP wurden zwei aus Plasma gewonnene Konzen-trate entwickelt, die Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor enthalten. Sie haben gegenüber Plasma-Infusionen den Vorteil, dass man weniger Volumen zuführen muss und dass allergische Reaktionen gegen Plasma ausbleiben; man muss diese Präparate aber häufiger als Plasma verabreichen.
In zwei Publikationen war darüber berichtet worden, dass sich bei Patienten mit hereditärer TTP, die Plasma erhalten hatten, inhibitorische Antikörper gegenüber ADAMTS13 entwickelten. In anderen Mitteilungen wurde über fluktuierende, nichtinhibitorische Anti- ADAMTS13-Antikörper berichtet. Diese hatten aber keinen negativen Einfluss auf das Enzym.
Künftig wird der Einsatz von rhADAMTS13 die Therapie „revolutionieren“, prognostizieren die Autoren. Die Behandlung damit ist einfach: Nachdem die Diagnose gestellt ist, werden alle zwei bis drei Wochen zuhause 5 ml des Präparats injiziert.
Im Tierversuch war die Gentherapie des Leidens erfolgreich. Ob sie auch beim Menschen je eine Rolle spielen wird, ist noch nicht abzusehen.
Die Autoren hoffen, dass die erbliche TTP im Laufe der nächsten 20 Jahre sicherer diagnostiziert und effektiver behandelt werden kann.
Quelle: Kremer Hovinga J et al.:Hereditary thrombotic thrombocytopenic purpura. N Engl J Med 2019; 381: 1653-62
ICD-Codes: M31.1

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