Ernährung und Verdauung

Naturmedizin 5/2019

Zirkadianer Rhythmus und Ernährung

Wie viel wir essen und was wir essen spielt eine Rolle für unsere Gesundheit – das ist Konsens. Nun wird aber zunehmend klar: Wann wir essen ist mindestens genauso wichtig.
Wenn der Mensch erstens weniger und zweitens das Richtige isst, reguliert sich das Gewicht und er hat eine höhere Chance auf eine längere Lebensspanne und – was noch wichtiger ist – eine längere Gesundheitsspanne („health span“). Darüber herrscht weitgehende Einigkeit, obwohl viele Erkenntnisse der zugrunde liegenden Forschung im Tierversuch erzielt worden sind. Das ist ethisch diskussionswürdig, aber die Ergebnisse sollen hier trotzdem angeführt werden. Beispielsweise wurden in Experimenten genetisch identische Mäusegruppen mit zwei unterschiedlichen Diäten gefüttert: Die eine Gruppe bekam Nahrung in einer gesunden Balance von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten, die andere Gruppe eine Ernährung mit viel Fett und einfachen Zuckern. Schon nach einigen Wochen wurde die „Junkfood-Mäusegruppe“ übergewichtig, viele hatten einen beginnenden Diabetes und schlechte Blutfettwerte. Dies ist wenig überraschend und zeigt sich so auch im humanen Großexperiment – dem realen Leben. Je mehr Junkfood er verspeist, desto ungesünder ist ein Mensch, so die Schlussfolgerung. Was sich aber angesichts der Tragweite immer noch nicht genug verbreitet hat, ist das, was der international renommierte Wissenschaftler Satchidananda Panda herausgefunden hat. Er und sein Team machten 2012 ein besonderes Experiment mit Mäusen: Sie nahmen ebenfalls genetisch identische Tiere, aber sie konzentrierten sich auf eine zeitliche Begrenzung der Fütterungszeit. Beide Gruppen bekamen „Junkfood“, also eine an Fetten und Kohlenhydraten reiche Diät. Die eine Gruppe hatte einen Fresszugang von 24 Stunden, also wann immer sie fressen wollten; die andere Gruppe bekam das gleiche Junkfood – aber begrenzt auf ein achtstündiges Zeitfenster. Diese „Acht-Stunden-Fresser“ lernten schnell, die gleiche Kalorienzahl wie die „24-Stunden-Fresser“ aufzunehmen – eben nur in weniger Zeit. Dann die Überraschung: Während alle Mäuse einer Nahrungszusammensetzung ausgesetzt waren, die erwiesenermaßen (s. o.) krank macht, blieben die „Acht-Stunden- Fresser“ gesund: keine Adipositas, normale Blutzucker- und Blutfettwerte. Sie erfreuten sich – ganz im Gegensatz zu der anderen Gruppe – bester Gesundheit (Hatori 2012). Dieses Forschungsergebnis wurde später noch oft bestätigt (Chaix 2014, Moro 2016, Rothschild 2014, Ruiz-Lozano 2016, McHill 2017). Nun sagen einige Forscher: „Mäuse lügen.“ Aber inzwischen sieht man die gleichen Resultate auch in Studien mit Menschen (u. a. Garaulet 2013). So kommt Panda zu der zugespitzten Aussage:
Die Lebensformen auf unserem Planeten haben sich unter dem starken Einfluss eines täglichen Zyklus aus Tag und Nacht, also Licht und Dunkelheit, entwickelt.
Der vorhersehbare und stabile Rhythmus bei der Verfügbarkeit von Essen und andere Umgebungsfaktoren führten bei allen Organismen zur Entwicklung eines internen Timingmechanismus von circa 24 Stunden: der sogenannte zirkadiane Rhythmus (circa=ungefähr; dian= täglich; siehe auch Kasten). Dieser befähigt den Organismus, die täglichen Änderungen im Lichtund Nahrungsangebot vorherzusehen.
So entstand ein Rhythmus aus Nahrungsaufnahme und Nahrungsaufnahmepausen. Und genau diese Pausen werden unterschätzt: Sie dienen als eine Zeit, in der Reparatur- und Regenerationsvorgänge stattfinden und Stressresistenz aufgebaut werden kann. Nach der Pause hat der Organismus die Energie und Widerstandskraft zur Verfügung, um wieder an Nahrung zu gelangen und sie für die Aktivität teilweise zu speichern.
Viele Elemente der „verjüngenden Pause“ treten ausschließlich in dieser Fastenphase auf und sind ein bedeutender Faktor bei der Verlängerung der Lebens- und Gesundheitsspanne – aber nur, wenn die Pausen ausreichend lang sind, wie man heute aus der Langlebigkeitsforschung weiß. Unter den Bedingungen der Zivilisation, hat die 24-Stunden-Verfügbarkeit von Nahrung und Licht den natürlichen Rhythmus des modernen Menschen empfindlich gestört. Dies trägt unter anderem zu Stoffwechselkrankheiten bei und beschleunigt den Alterungsprozess mit den entsprechenden im Alter gehäuft auftretenden Erkrankungen (Panda 2018, Michalsen 2019).
 
Tag im Rhythmus
Zur Veranschaulichung ein optimaler Tagesablauf: Nach dem Aufwachen um 7:30 Uhr fällt das erste Tageslicht ins Auge, der Melatoninspiegel sinkt, die erste Nahrung wird um 8:30 Uhr aufgenommen. Durch die gute Blutzuckerregulierung vormittags wird optimal verstoffwechselt. Am späten Nachmittag bekommt man noch eine gute Dosis Bewegung. Die letzte Nahrung des Tages wird dann acht bis zehn Stunden später aufgenommen, beispielsweise um 17:30 Uhr. Das Tageslicht wird schwächer, man meidet am besten Kunstlicht, vor allem das kalte, weiße mit hohem Blauanteil. Der Melatoninspiegel kann steigen, man wird müde, geht ungefähr drei bis vier Stunden später ins Bett und fällt in einen erholsamen Schlaf. Die Darmtätigkeit verlangsamt sich. Körper und Geist gehen in einen Regenerationsmodus. Nach circa 12 bis 16 Stunden Nahrungskarenz sind die Glykogenvorräte der Leber aufgebraucht und der Körper beginnt mit der Produktion von den, wie man inzwischen weiß, wertvollen Ketonkörpern. Die Autophagie recycelt schadhafte Proteine. Nach acht Stunden erwacht man ohne Wecker. Das erste Tageslicht fällt ins Auge.
Dieser Tagesablauf kann durch verschiedene Faktoren gestört werden:
  • Die letzte Mahlzeit wird zu spät eingenommen, der Schlaf wird unruhiger, es setzt keine Ketonkörperproduktion ein; auch die Autophagie setzt verspätet ein und kann daher nur in geringerem Ausmaß arbeiten (vgl. Martinez-Lopez et al. 2017).
  • Bis spät in den Abend hinein fällt Kunstlicht aus einem Computer- oder Handy-Display ins Auge, und es wird kein Melatonin produziert. Aus diesem Grund haben Computerhersteller schon einen Night-Shift-Modus entwickelt, der bei Sonnenuntergang automatisch die Lichtstärke des Bildschirms herunterregelt und die Farbe wärmer einstellt.

Alle Zusammenhänge können an dieser Stelle leider nicht umfassend dargestellt werden, aber eine Beschäftigung mit den Forschungsergebnissen von Panda ist sehr empfehlenswert. Die Ergebnisse werden zunehmend in Bereichen wie Gesundheitsförderung, Informationstechnologie und der bemannten Raumfahrt verwendet.

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