Wissenschaftsdebatte

Naturmedizin 6/2020

Wie wirksam ist die Misteltherapie wirklich?

Integrativ gegen Krebs: Mehr als zwei Drittel der Krebspatienten wenden ergänzend Verfahren aus der Komplementärmedizin an, viele davon die Misteltherapie. Umso wichtiger, dass in diesem Bereich auf wissenschaftlich hohem Niveau geforscht wird und Therapien bewertet werden: Ein Systematischer Review hat zu einer kontroversen fachlichen Diskussion geführt – hierauf wies jetzt der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland hin.
Ein aktuelles Review von Freuding et al. „Mistletoe in oncological treatment: a systematic review“ (2019) könne hohen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werden. Darauf haben ÄrztInnen verschiedener Fachrichtungen direkt nach Erscheinen in einem kritischen Brief an den Herausgeber („Letter-tothe- Editor“) der Fachzeitung aufmerksam gemacht. Das Review war zu dem Schluss gekommen, dass ein positiver Effekt der Misteltherapie weder auf das Überleben noch auf die Lebensqualität nachgewiesen werden könne.
 
Kritik vertieft
Nun liegt eine ausführliche Überprüfung des Reviews durch Matthes et al. (2020) vor, in dem die Forscherinnen ihre Kritik wissenschaftlich untermauern und diverse Mängel benennen: Unvollständigkeiten (z. B. Ausschluss von Studien), Intransparenz der Methodik (z. B. zur Auswahl der einbezogenen Literatur), fehlende Durchführung einer Meta-Analyse trotz ausreichender Studien sowie eine fehlerhafte und unzureichende Bewertung des Risikos von Verzerrungen. Auch die Schlussfolgerungen selbst überraschen: Obwohl in 14 Studien eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität, in zwei Studien ein positiver Trend und nur in einer Studie kein Effekt nachgewiesen wurde, kommen die Review-Autorinnen (Freuding et al.) zu dem Schluss, dass eine Misteltherapie keinen Einfluss auf die Lebensqualität habe.
„Die Debatte um die Wirksamkeit der Misteltherapie wird immer wieder kontrovers geführt. Wir müssen uns dabei auf Daten stützen können, die wissenschaftlichen Standards entsprechen“, kommentiert Prof. Dr. med. Harald Matthes, Ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Inhaber der Stiftungsprofessur an der Charité Universitätsmedizin Berlin. „Das ist beim vorliegenden Review jedoch nicht der Fall, sodass aus der Arbeit keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen gezogen werden können“.
 
Leitlinien-Arbeit zur Integrativen Onkologie
Dabei wären qualitativ hochwertige Forschungsarbeiten zur Misteltherapie gerade jetzt besonders wichtig, da in diesem Jahr die Veröffentlichung einer erstmaligen S3-Leitlinie zu integrativen Therapien in der Onkologie ansteht: „Die Entscheidung, ob die Misteltherapie aufgenommen wird, hängt natürlich von der wissenschaftlichen Bewertung zu dieser Therapieoption ab“, ergänzt Dr. med. Friedemann Schad, Leiter des zertifizierten Onkologischen Zentrums am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Untermauert wird die Kritik am Freuding-Review im Übrigen auch durch zwei neue Publikationen – ein wissenschaftliches Review (Ostermann et al.) sowie eine Metaanlyse (Loef M, Walach H) – aus diesem Jahr, die zu gänzlich anderen und positiven Ergebnissen für die Misteltherapie kommen.
 
Zur Misteltherapie
Die Misteltherapie ist das am besten erforschte und am häufigsten eingesetzte komplementärmedizinische Arzneimittel in der Integrativen Krebstherapie. Es existieren mittlerweile über 3.000 wissenschaftliche Artikel zu Mistelextrakten und ihren Wirkprinzipien sowie über 150 klinische Studien.
Quelle: Matthes H et al.: Statement to an insufficient systematic review on viscum album l. therapy. 2020. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine 1–9. https://doi.org/10.1155/2020/7091039 (Quelle: Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland, Natascha Hövener)

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