Naturmedizin 3/2019

Rheumatoide Arthritis – Heilfasten als Weg

Für Prof. Andreas Michalsen ist die rheumatoide Arthritis eine „sichere Bank“ für die Fastentherapie. Er ist Chefarzt der Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus in Berlin. Hier führt man die Fastentherapie schwerpunktmäßig bei Patienten mit Rheuma, schwersten Arthrosen, Rückenschmerzen oder Fibromyalgie seit Langem erfolgreich durch. Was sind die Wirkmechanismen, wie ist der Stand der Forschung und wie kann das Fasten effektiv eingesetzt werden?
Denkmodelle zur Polyarthritis nach Lützner (5)
Ursachen
  • Erhöhung der Entzündungsmediatoren durch falsche Ernährung (Arachidonsäure, Prostaglandine, Sauerstoffradikale)
  • Nahrungsmittelallergie
Aufgaben der Therapie
  • Verminderung der Entzündungsmediatoren durch Fasten und Frischkost
  • Allergenkarenz, Desensibilisierung
Erklärungsmodelle der Wirkung des Fastens
  • Vermindert die Bildung von Entzündungsmediatoren (Eikosanoide)
  • Vermindert die Bildung von Prostaglandinen
Die Bestsellerautorin Susanne Fröhlich berichtet in ihrem Buch Fröhlich fasten offen von ihrer Diagnose rheumatoide Arthritis (RA) (1). Die Erkrankung betraf ihre Hüften und Schultern. Das Gehen schmerzte, der Alltag war stark beeinträchtigt. Sie begann, Cortison zu nehmen. Aber die Nebenwirkungen veranlassten sie dazu, nach alternativen Behandlungsansätzen zu forschen. Sie stieß auf das Fasten, und zwar nicht durch ihren behandelnden Arzt, sondern durch eine Dokumentation des Fernsehsenders Arte von 2015: Fasten und Heilung (2).
Da bei Autoimmunerkrankungen ein längeres Fasten empfohlen wird, beschloss sie, 40 Tage nach Buchinger zu fasten – mit dem Resultat: Die Schmerzen verschwanden, und bei einer abschließenden Blut untersuchung wurde festgestellt, dass der vorher gemessene Rheumafaktor nicht mehr nachweisbar war. Sie machte das Fasten zu einem festen Bestandteil ihres Lebens, hat seitdem keine Hüftschmerzen mehr und kann gelegentlich aufkommende leichte Schulterbeschwerden gut mit Fastenperioden kontrollieren.
 
Enttäuschte Patienten
So wie der Prominenten Susanne Fröhlich geht es vielen Patienten. Sie möchten ihre Beschwerden lindern, bekommen von Ärzten oft die medikamentöse Standardtherapie – und merken bald, dass die Nebenwirkungen und die Aussicht auf eine lebenslange Medikamenteneinnahme ihnen nicht behagen. Die Nebenwirkungen sind teils erheblich. So können nicht cortisonhaltige Antirheumatika gastrointestinale Nebenwirkungen bewirken, Cortison kann Osteoporose, Hautveränderungen und Depressionen verursachen, wie die Chefärztin der Wilhelmi-Buchinger-Fastenklinik Dr. med. Eva Lischka betont (3).
So ist die konventionelle Rheumatherapie nicht immer von Erfolg gekrönt. Patienten wie Susanne Fröhlich machen sich auf den Weg der Suche nach Alternativen. Viele beobachten dabei, dass spezielle Diäten oder das Weglassen bestimmter Anteile ihrer Ernährung Einflüsse auf ihre Symptome haben. Ist das Fasten also eine sinnvolle Intervention?
 
Patienten werden zu Fastenärzten
Der berühmte deutsche Fastenarzt Otto Buchinger, geboren 1878, entdeckte das Fasten durch einen Heilerfolg bei sich selbst. 1917 erkrankte er an einer schweren Mandelentzündung, die er nicht auskurierte. Die Folge war eine schwere RA. Zu dieser Zeit gab es wenige Heilansätze. 1918 quittierte er seinen Dienst als Militärarzt. 1919 machte der Arzt zwei mehrwöchige Fastenkuren, unterwarf sich fortan einer Diät – und war dauerhaft geheilt. Dieses Erlebnis veranlasste den ehemaligen Militärarzt zur Beschäftigung mit der Naturheilkunde und dem Fasten. 1920 gründete er seine erste eigene Fastenklinik. Durch die intensive Beschäftigung mit der ganzheitlichen Dimension des Fastens hatte er zunehmend auch dessen seelisch-geistige Kräfte erfahren – bis in das hohe Alter von 89 Jahren. Heute ist das sogenannte Buchinger Fasten die verbreitetste Form des Fastens, bei Gesunden und Kranken.
Auch Dr. Helmut Lützner ist durch eigene Erfahrungen zum Fasten gekommen. Er war in seiner Kindheit von Neurodermitis betroffen. Durch seine Eltern lernte er früh, dass Gesundheit entscheidend von der Übernahme von Selbstverantwortung abhängig ist. Durch Fasten, Rohkost, Verzicht auf erhitzte Milchprodukte und Süßigkeiten konnte er die Symptome deutlich mildern – eine Erfahrung, die seine Berufswahl und seinen Berufsweg geprägt haben. Seine Verdienste um das Fasten sind groß: Er gründete in den 1970er-Jahren die Kurpark-Klinik in Überlingen und machte die Fastentherapie damit auch gesetzlich Krankenversicherten zugänglich. Dort war er 20 Jahre Chefarzt. Außerdem entwickelte er das „Fasten für Gesunde“ und ist Autor des inzwischen in Millionenauflage in aller Welt gelesenen Buchs Wie neugeboren durch Fasten, das allen interessierten Laien die notwendige Anleitung für ein eigenes Kurzzeitfasten gibt (4).
 
Quintessenz aus 40 Jahren Erfahrung
Dieses Jahr hat Helmut Lützner seinen 90. Geburtstag gefeiert und erfreut sich guter Gesundheit. Er fastet weiterhin regelmäßig, ernährt sich bewusst und bewegt sich viel in der freien Natur. In seinem Buch Fasten- und Ernährungstherapie fasst Lützner 40 Jahre Erfahrung zusammen (5). Selbstverständlich hat er viele Rheumapatienten begleitet. Einerseits hat er die Verläufe der eigenen Patienten genau dokumentiert und andererseits die zur Verfügung stehende Evidenz studiert. Er schlägt folgendes ernährungstherapeutisches Vorgehen bei RA vor: zunächst ein intensivdiätetischer Eingriff in den Stoffwechsel des chronisch Kranken in der Klinik und dann eine Umstellung der Ernährung auf eine qualitativ hochwertige Vollwertkost (siehe Tabelle unten).
Besonders im frühen Stadium ist nach Lützner die RA gut beeinflussbar. In Einzelfällen seien dauerhafte Remissionen möglich. Wichtig zu beachten: Die chronische Polyarthri tis, der Morbus Reiter und andere entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind keine Krankheitsbilder mit einheitlicher Symptomatik, Ätiologie und Pathogenese. Sie sprechen dementsprechend unterschiedlich auf Therapien an.
Lützner weist aufrichtigerweise auf die vielen verbliebenen Unklarheiten der Wirkungsweise sowohl der medikamentösen Therapie als auch der Ernährungstherapie hin – aber die Ernährungstherapie hat den Vorteil, dass sie wesentlich nebenwirkungs- und risikoärmer ist. Allerdings fordert sie die volle Aufmerksamkeit und Mitarbeit des Patienten – oft lebenslang.
Neben dem Fasten stellt Lützner die Patienten auf frischkostreiche, biologisch hochwertige Nahrung um. Oft muss noch ein weiterer Eingriff erfolgen: der Verzicht auf tierisches Eiweiß und tierische Fette, gelegentlich auch auf Gluten (siehe Kasten Seite 39).
Lützner beruft sich in seinen Empfehlungen auf Studien von 1936 bis 1990. Auffällig ist, dass die Fastenzeiten hier viel länger als in aktuellen Studien angesetzt sind, nämlich bis zu einem Zeitraum von 40 Tagen. So empfiehlt auch der Fastenarzt Dr. med. Christian Kuhn bei RA längere Fastenzeiten, da man davon ausgehen müsse, dass bestimmte Vorgänge erst ab vier Wochen einsetzen (6).
 
Level-1-Evidenz
Wilhelmi de Toledo et al. (7) halten in ihrem Update der Leitlinien zur Fastentherapie von 2013 fest: „Für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis gibt es eine Level-1-Evidenz durch einen systematischen Review von kontrollierten Studien.“
Auch für weitere Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems geben die Leitlinien die Fastentherapie als indiziert an: degenerative Erkrankungen, Gelenkerkrankungen, Osteoarthritis, Kollagenose, Spondylitis ankylosans, degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule, chronischer Rückenschmerz, Fibromyalgie.
Müller et al. (8) haben einen systematischen Review zum Thema durchgeführt: „Fasten gefolgt von einer vegetarischen Diät bei RA“. Klinische Beobachtungen zeigen schon lange, dass Ernährungsweisen die rheumatoide Arthritis verbessern können. Die wissenschaftliche Basis für die Rolle der Diät bei der Behandlung der RA hat sich verbreitert. Hierbei hat die Identifikation der Eikosanoide, die durch die Arachidonsäure gebildet werden, die Idee wieder angestoßen, dass die Ernährung die RA beeinflusst. Keine Arachidonsäure enthält die rein pflanzenbasierte Ernährung, sie hat vermutlich eine positive Wirkung auf entzündungsbedingte Erkrankungen.
Seit geraumer Zeit wird der Darm als bedeutender Faktor in der Pathogenese der RA angenommen. Zwei randomisierte Studien zeigen überzeugend, dass Fasten und eine vegane Diät das Mikrobiom bedeutsam beeinflussen und dass dieser Einfluss positiv mit Behandlungserfolgen einhergeht. Weitere Ergebnisse zeigen, dass Leptin eine bedeutende Rolle in der Verbindung Fasten und Immunsuppression spielt.
Müller et al. sehen es als unzweifelhaft an, dass Fasten einen antientzündlichen Effekt hat und die Schmerzen während einer Fastenperiode lindert – aber nach der Beendigung des Fastens flammen die Beschwerden oft innerhalb weniger Tage wieder auf. Dies könnte bedeuten, dass Fasten ohne anschließende Ernährungstherapie nur von begrenztem Wert ist.
Müller et al. (8) schlossen 31 Originalarbeiten in den Review ein, in denen Fasten bei RA angewendet worden ist. Die überzeugendsten Ergebnisse wies eine Studie von Kjeldsen-Kragh (9) auf: 35 Patienten mit RA wurden auf eine Fasten- und eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Die Messungen waren verblindet, die Untersucher wussten nicht, ob die Patienten fasteten oder nicht. Die Verblindung der Patienten ist bei solch einer Studie natürlich nicht möglich. Die Fastengruppe fastete für sieben bis zehn Tage. Dann hielt sie eine individuelle vegane Diät für dreieinhalb Monate ein. Die Basis bildeten die Gemüsesorten, die sie auch während des Fastens in Saftform bekamen: Kartoffeln, Karotten, Sellerie, Petersilie, Rote Bete. Nun wurden jeden Tag neue Nahrungsmittel dazugenommen, die nur dann Teil der Diät blieben, wenn sie innerhalb von zwei Tagen keine Beschwerden verursachten. Wenn ein Nahrungsmittel Beschwerden verschlimmerte, wurde es sofort aus der Diät herausgenommen. Nach dreieinhalb Monaten wurden Milch, Milchprodukte und glutenhaltige Nahrungsmittel dazugenommen. Nach 13 Monaten dieser Diät hatten sich alle klinischen Parameter und die Hälfte der Laborparameter verglichen mit der Kontrollgruppe bedeutend gebessert. Allerdings gab es eine hohe Drop-out-Rate. Und ein weiteres Problem war die Möglichkeit eines Nocebo-Effekts bei der Kontrollgruppe. Die Patienten, die gehofft hatten, in die Behandlungsgruppe zu kommen, waren eventuell enttäuscht. Dies ist ein prinzipielles Problem von Studien, in denen die Patienten nicht verblindet werden können.
Allerdings sind die beobachteten signifikanten Effekte u. a. bei dem C-reaktiven Protein, der Zahl der weißen Blutkörperchen und der Zahl der geschwollenen Gelenke schwer mit diesem Nocebo-Effekt zu erklären.
Müller et al. kommen daher zu dem Ergebnis, dass ein Kurzzeitfasten, gefolgt von einer vegetarischen Diät, klinisch relevante langfristige Verbesserungen bei RA-Patienten bewirken kann.
 
Aktueller Stand der Forschung
Nach einer Gruppe um den renommierten Neurowissenschaftler und Fastenforscher Mark Mattson (10) sind u. a. folgende Wirkungen des Fastens bisher gut wissenschaftlich belegt worden:
  • Fettgewebe: Entzündungshemmung und reduzierte Produktion von Leptin
  • Blut: erhöhter Adiponectinspiegel, reduzierte Marker für oxidativen Stress, reduzierte proinflammatorische Zytokine
  • Darm: Reduzierung von Entzündung
  • Muskelgewebe: Entzündungshemmung. 
Man kann davon ausgehen, dass von einigen der oben angeführten Wirkungen RA-Patienten bedeutend profitieren. Für das Thema Fasten ist es schwer, Forschungsförderung zu bekommen, aber weitere Studien, gerade auch für die große Gruppe der RA-Patienten, wären wünschenswert.
 
Literatur beim Autor
Quelle: Autor Frank Aschoff ist Fachjournalist (DJK), spezialisiert auf Wissenschafts- / Medizinjournalismus. E-Mail: frank.aschoff@web.de
ICD-Codes: M06.9

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