Ambulante Versorgung

Naturmedizin 2/2020

Patientensicherheit? Lässt zu wünschen übrig!

Ein Team um den Marburger Gesundheitsversorgungsforscher Professor Dr. Max Geraedts hat Patientinnen und Patienten nach Mängeln in der ambulanten medizinischen Versorgung befragt.
Die meisten Menschen suchen zuerst medizinsche Hilfe bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Trotzdem gibt es so gut wie keine Daten zu Problemen mit der Patientensicherheit in der ambulanten Versorgung, weder national noch international. Das nahm Studienleiter Max Geraedts von der Philipps-Universität Marburg zum Anlass, 10.000 Bürgerinnen und Bürger systematisch zu befragen. Leider wussten diese nicht nur Gutes zu berichten. Im Fachjournal BMJ Open wurden die Ergebnisse unlängst veröffentlicht.
 
Unzulängliche Diagnostik und Verschlimmbesserung
Mit einem neu entwickelten Fragebogen erhob das Forscherteam die Daten mit den 10.000 zufällig ausgewählten Erwachsenen (alle über 39 Jahre alt). 14 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten über Probleme, die aufgetreten seien, wenn sie niedergelassene Ärztinnen oder Ärzte konsultierten. Die telefonische Umfrage dokumentiert mehr als 2.500 Einzelfälle.
In 75 % der Fälle gaben die Betroffenen an, dass Probleme bei der Behandlung schädliche Folgen wie unnötig lang anhaltende Schmerzen oder die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgelöst hätten.
61% berichteten von einer ihrer Meinung nach unzureichenden Anamnese und unzulänglicher Diagnostik. 35 % sagten, sie hätten dauerhaften Schaden von der ärztlichen Behandlung genommen. 31 % der Fälle berichteten davon, dass die Konsultation weitere Arztbesuche auslöste, 14 % mussten Notfallbehandlungen in Anspruch nehmen und 10 % der Fälle mussten laut eigenen Angaben aufgrund der ambulanten Behandlung ins Krankenhaus.
Die Patientenberichte bezogen sich zu 44 % auf Allgemeinmediziner, zu 15 % auf Orthopäden und zu 10 % auf Internisten.
 
Kritische Situationen erkennen
„Unsere Ergebnisse belegen, dass Probleme der Patientensicherheit in der ambulanten Versorgung häufig sind, oft mit Gesundheitsschäden einhergehen und zusätzliche Behandlungen nach sich ziehen“, resümiert Geraedts. „Die Ergebnisse können helfen, kritische Situationen zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Vermeidung von Problemen zu entwickeln.“
 
Unterschiedliche Einschätzung
Darüber hinaus zeige die Studie, dass Patientenberichte eine wertvolle Quelle zur Identifizierung von Sicherheitsproblemen seien; sie könnten demnach dazu beitragen, die Patientensicherheit zu verbessern. Diesen Aspekt betont auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) in einer Stellungnahme: Grundsätzlich sei es schwierig, Probleme mit der Patientensicherheit zu erheben, weil die Einschätzung von professionellen Kräften und Betroffenen variiere.
„Im Aktionsbündnis sind wir davon überzeugt, dass es von unschätzbarem Wert ist, die Patientinnen und Patienten selbst einzubeziehen, um die Sicherheit in der Versorgung zu bewerten und zu verbessern“, sagt Marcel Weigand, Generalsekretär im APS. Der Mediziner Professor Dr. Max Geraedts lehrt Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie an der Philipps-Universität Marburg. Neben Geraedts Arbeitsgruppe beteiligte sich Dr. Johannes Leinert vom Sozialforschungsinstitut Infas an der Studie. Der Gemeinsame Bundesausschuss, eine Einrichtung der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, unterstützte die zugrunde liegende Forschungsarbeit finanziell.
Quelle: Geraedts M et al.: Patient safety in ambulatory care from the patient‘s perspective: a retrospective, representative telephone survey. BMJ Open 2020, doi: 10.1136/bmjopen-2019-034617

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