Im Gespräch

Naturmedizin 3/2020

Naturräume zu bewahren, heißt, Zoonosen vorzubeugen!

COVID-19 ist eine Zoonose, also eine der Erkrankungen, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen geht davon aus, dass etwa zwei Drittel aller neuen Infektionskrankheiten vom Tier stammen. Warum ist das so? Frank Aschoff sprach mit der Biologin Prof. Dr. Simone Sommer, die auf diesem Gebiet forscht. Das Gespräch fand am 21. April statt.
Welchen Einflfluss nimmt der Mensch auf Wildtierpopulationen?
Schauen wir für diese Frage auf die Tropen, nehmen wir einen ungestörten Tieflandregenwald in Mittel- oder Südamerika. Dort haben wir eine große Artenvielfalt unter den Säugetieren. Unberührte Wälder haben wir in Europa fast nirgendwo mehr; unsere Gegenden sind stark überformt, und die Diversität ist generell in den gemäßigten Breiten geringer. Wenn der Mensch in so einen Tropenwald eingreift, bedeutet das entweder einen kompletten Kahlschlag oder wir haben das Glück, dass noch Waldfragmente übergeblieben sind, sprich Lebensräume, die zwar bedeutend kleiner geworden sind, aber noch natürlichen Waldbestand haben. Gehen wir vom optimalen Fall aus, dass die Waldfragmente nicht degradiert sind, das heißt, dass nicht alle großen Bäume rausgeschlagen wurden und nicht nur noch Gestrüpp übrig ist. Zwischen diesen Waldfragmenten entsteht dann das was wir als Matrix bezeichnen: oft landwirtschaftlich genutzte Flächen, wie Rinderweiden, Soja- oder Zuckerrohrplantagen. In den Fragmenten ist die Fläche für die darin lebenden Arten kleiner geworden, dadurch verändern sich die Artengemeinschaften: Die gegenüber Umweltveränderungen sensitiven Arten nehmen als erstes ab oder verschwinden ganz, ein Beispiel bei uns wäre der Schwarzspecht, eine hochangepasste Art. Im Gegensatz dazu haben wir Generalisten, die sehr anpassungsfähig an Umweltveränderungen sind, wie bei uns beispielsweise die Wildschweine, die in der Lage sind, Waldfragmente zu verlassen, die Matrix zu nutzen, das heißt sie gehen auch in die Felder und nehmen sogar an Häufigkeit zu.
 
Inwiefern begünstigt dies Zoonosen?
Schauen wir uns die Generalisten an: Da die Konkurrenz abgenommen hat, besetzen sie die freiwerdenden ökologischen Nischen, und nehmen in der Regel an Häufigkeit zu. Da sie anpassungsfähig sind, und zum Teil auch die Matrix nutzen können, können sie potenziell mit Nutztieren und Menschen, aber auch invasiven Arten zusammentreffen. Das sind Arten, die von der Matrix aus in die Waldfragmente eindringen können, beispielsweise bestimmte Nagerarten, Ratten. Wir verändern also die Zusammensetzung und Häufigkeit der Arten und damit das Reservoir für Krankheitserreger, die übrigens normale Bestandteile unseres Ökosystems sind und schon lange vor uns da waren! Tiere und Menschen sind permanent mit ihnen konfrontiert, sind aber normalerweise durch Koevolution angepasst, unsere Immunsysteme können damit umgehen. Jetzt haben wir aber veränderte Häufigkeiten und eine höhere Dichte. Je nach Krankheitserreger, vor allem bei direkt übertragenen Viren, bedeutet dies im Tierreich eine erhöhte Kontaktrate, erhöhte Übertragungs- und Verbreitungsmöglichkeiten und damit ein höheres Zoonosen-Risiko für Tier und Mensch.
 
Welche Rolle spielen Wildtierhandel und -märkte?
Ein Markt, wie der sogenannte wet market in Wuhan, stellt ein hochgradig artifizielles Zusammentreffen von Tieren dar: über 40 verschiedene Arten, in Käfigen nebenund übereinander gestapelt und vor Ort geschlachtet. Es kommen Tiere zusammen, die natürlicherweise nicht in China zusammenkommen, und dazu noch Arten aus aller Welt, wie beispielsweise die Schuppentiere, von denen vier Arten nur in Afrika vorkommen, dort illegal gejagt und nach China transportiert werden – wobei nicht klar ist, ob diese wirklich die Zwischenwirte von Corona sind. Viele Wildtiere werden weltweit legal und illegal gehandelt, darunter Schlangen, Frösche, Vögel, Fledermäuse, Flughunde, aber auch viele größere Säugetierarten ... keine der Arten ist durch die Evolution an die Erreger von Arten angepasst, mit denen sie so unnatürlicherweise konfrontiert werden, das heißt mit Arten, die normalerweise nicht in ihrem Lebensraum vorkommen.
 
Ist auch die Massentierhaltung eine Bedrohung?
Ja, das ist noch extremer als die vorhin besprochene Situation der Generalisten in einem Tropenhabitat: eine unnatürliche, extrem hohe Dichte an Lebewesen – aus der Sicht des Virus der perfekte Lebensraum, viele Kontaktmöglichkeiten, falls Tiere infiziert werden. Viren neigen zu Mutationen; so hat man irgendwann einen mutierten Virus, der eine andere Wirtsart befallen kann. Die Artenschranke ist überwunden. Denken Sie an Schweinegrippe, Vogelgrippe, Spanische Grippe ...
 
Welchen Einflfluss hat der Klimawandel?
Die Datengrundlage ist hier noch kleiner, aber von vielen kleinräumigen Untersuchungen wissen wir: Kleinräumige, mikroklimatische Veränderungen von wenigen Grad Celsius beeinflussen wichtige Faktoren wie zum Beispiel die Feuchtigkeit. Dies hat bei vielen Krankheitserregern, insbesondere die mit freilebendem Stadium, aber auch die, die durch Schmierinfektionen übertragen werden, einen starken Einfluss darauf, wie lange sie auf dem Boden, auf dem Futter usw. überleben können. Veränderte klimatische Muster ändern zudem die Verbreitung von Krankheitserregern und Vektoren. So kommen beispielsweise auch zu uns neue Mücken- und Zeckenarten, die vor wenigen Jahren noch nicht in unserer Region leben konnten.
 
Sie erforschen ja auch den sogenannten Major histocompatibility complex (MHC), oder?
Ja, da kommen wir zu den eingangs erwähnten Spezialisten. Diese reagieren sehr sensitiv auf Umweltveränderungen, die Populationsgröße nimmt ab, oder die Art stirbt aus. In Brasilien haben wir die Auswirkung-en von Umweltveränderungen auf die Immundiversität von Wildtieren, insbesondere von Spezialisten, untersucht. Als Krankheitserreger haben wir vorwiegend Darmparasiten, aber die Kaskade der Auswirkungen der Umweltveränderungen auf die Wildtiergesundheit ist die gleiche wie bei Viren. Wenn die Anzahl der Individuen abnimmt, nimmt Inzucht zu, genetische Variabilität nimmt ab. Der Verlust genetischer Vielfalt ist besonders negativ für die Gesundheit der Wildtiere, wenn sie die Immungene betrifft, das heißt den Teil der Gene, der bei der Initiierung der Immunkaskade eine essenzielle Rolle spielt, und hier kommen die MHC-Gene ins Spiel. Diese präsentieren kleine Bruchstücke von Krankheitserregern den T-Zellen unseres Immunsystems und setzen so die angepasste Immunkaskade in Gang. Je geringer die MHC-Diversität, desto schlechter die Möglichkeiten für die geeignete Immunabwehr gegen jegliche Form von Krankheitserregern.
 
Werden Zoonosen mehr?
Man kann wissenschaftlich sagen, dass der Anstieg mit dem Fortschreiten der Klima- und Umweltkrise korreliert ist. Viele globale Kipppunkte sind erreicht, alle entsprechenden Kurven gehen exponentiell hoch – und auch die Zoonosekurve geht hoch. Natürlich sind auch unsere Nachweismöglichkeiten und das Reporting angestiegen, aber diese Korrelation ist sehr ausgeprägt.
 
An welchem Rädchen müsste man jetzt zuerst drehen?
Erste wichtige Schritte wären ein Verbot der vorhin beschriebenen Wildtiermärkte, eine stärkere Kontrolle des legalen und illegalen Wildtierhandels und der Schutz verbliebener Naturflächen. Aber das muss schnell gehen, denken wir an die Zerstörung des Amazonasgebietes, das essenziell für unser globales Klima ist. Wir sind 7,8 Milliarden Menschen und dringen immer weiter in die letzten Wildtierrefugien in Amerika, Afrika und Asien ein.
 
Wäre nicht auch der One- Health-Ansatz wichtig?
Ja, wir arbeiten als Ökologen, Biologen und Mediziner zusammen. Einer unserer Kooperationspartner ist seit vielen Jahren das Virologenteam der Charité von Christian Drosten. Wie man es auch nennt, EcoHealth, OneHealth oder Planetary Health, das sind jetzt essenziell wichtige Konzepte! Der Mensch ist an einem Scheitelpunkt oder Kipppunkt angekommen, und die verbliebenen Naturräume müssen bewahrt werden.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

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