European Society of Cardiology (ESC) 2016

Praxis-Depesche 9/2016

ICD ohne Nutzen – Krebsüberleben je nach Puls – (un)gesunder Sport

Auf dem diesjährigen Kongress der European Society of Cardiology wurden neue und alte Erkenntnisse zur kardiovaskulären Mortalität präsentiert. So profitieren Patienten mit nichtischämischer Herzinsuffizienz nur in einem bestimmten Alter von einem ICD, das Überleben von Krebspatienten hängt signifikant von der Herzfrequenz ab, und ob sich die Lebenserwartung mit Hochleistungssport steigern lässt, ist weiterhin umstritten.

ICD-Nutzen je nach Alter
 
„Sowohl die europäischen als auch die amerikanischen Leitlinien sprechen für die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Dysfunktion für die prophylaktische Implantation eines ICD (implantable cardioverter device) eine Klasse 1 Empfehlung aus“, so Dr. Lars Kober, Kopenhagen. „Weitaus weniger Evidenz gibt es aber für den Nutzen bei Patienten mit nicht-ischämischer Ätiologie“, erklärte Kober. Um diese Wissenslücke zu schließen, analysierte seine Arbeitsgruppe in der DANISH- Studie erstmals das Outcome von jeweils rund 560 Herzinsuffizienz-Patienten mit nichtischämischer Ätiologie (Frauenquote 27%, mittleres Alter 64 Jahre) mit bzw. ohne einen prophylaktischen ICD. Die pharmakologische Therapie der Patienten war dabei bereits bestmöglich ausgereizt: Nahezu alle Teilnehmer wurden mit ACE-Inhibitoren oder Angiotensinrezeptorblockern sowie Betablockern behandelt. Bei rund 60% war eine kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) angezeigt. Die Kontrollgruppe erhielt hierfür einen biventrikulären Schrittmacher, den übrigen Patienten wurde ein CRT-/ ICD-Gerät implantiert. Die allgemeine Mortalität betrug sowohl mit als auch ohne ICD knapp über 20%. Eine genauere Analyse zeigte, dass das Alter der Patienten für den Nutzen der ICD-Prophylaxe ausschlaggebend war. Ein ICD reduzierte die Mortalität nur bei Patienten im Alter von unter 68 Jahren signifikant (HR 0,64; p=0,01), nicht aber in höheren Altersgruppen. Zudem erlitten Patienten nur halb so oft einen plötzlichen Herztod, wenn ihnen ein ICD eingesetzt wurde (4,3 vs. 8,2%; HR 0,50; p=0,01). „Die Entscheidung für einen prophylaktischen ICD sollte man daher von der jeweiligen Ätiologie und dem Alter des Patienten abhängig machen“, so Kober.
 
Überlebenswahrscheinlichkeit bei Krebs am EKG ablesen
 
„Viele Onkologen beobachten, dass Tumorpatienten im Vergleich zu gesunden Personen häufig eine erhöhte Herzfrequenz aufweisen“, erklärte Dr. Markus Anker, Berlin. In einer aktuellen Studie erwies sich dies nun als wertvoller Prädiktor für das Überleben der Patienten. Per 24h-EKG untersuchte die Arbeitsgruppe um Anker 43 gesunde Kontrollpersonen und 121 Patienten mit Pankreas-, kolorektalem oder nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC), davon fast 80% in Stadium III oder IV. Im Verlauf des 33-monatigen Follow-up verstarben insgesamt 65% aller Patienten. Wie lange die Krebspatienten überlebten, liess sich dabei an deren Herzfrequenz abschätzen. Im Baseline-EKG wiesen die Tumorpatienten eine signifikant höhere Herzfrequenz auf als die Kontrollpatienten (80+/-12 vs. 71 +/-9 /min). Auch wiesen Patienten mit Krebs vier mal häufiger eine Tachykardie auf, vor allem jene mit NSCLC (39%). Bei mehr als der Hälfte der Krebspatienten lag die durchschnittliche Herzfrequenz ≥76,5/min gegenüber nur 30% in der Kontrollgruppe.Tumorpatienten, deren Herzfrequenz über dieser Grenze lag, hatten eine fast doppelt so hohe Mortalität als jene mit niedrigerer Pulsrate (HR 1,99; p=0,003). Der Zusammenhang galt unabhängig von der Art der Krebsdiagnose, dem Tumorstadium, chirurgischen Interventionen, Antikoagulation sowie BMI, Hämoglobin und Kaliumspiegel (adjustierte HR 1,62; p=0,048).
 
Hochleistungssport: Gut oder schlecht fürs Herz?
 
Einigen Studien zufolge weisen Sportler nach hochintensivem Ausdauertraining erhöhte Werte an Biomarkern auf, die mit einer reduzierten Herzfunktion in Verbindung stehen. Einige Forscher vermuten, dass dies erste Anzeichen einer myokardialen Entzündung und eines kardialen Remodelling darstellen könnten. Aus der Sicht von Prof. Sanjay Sharma, London, gibt es dafür jedoch keine klare Evidenz. „Der beobachtete Anstieg im Troponinspiegel und die fibrotischen Regionen normalisieren sich innerhalb weniger Tage wieder vollständig und stellen wahrscheinlich einen kompensatorischen, keinen pathologischen Mechanismus dar“, so Sharma. In der bisher größten Beobachtungsstudie zu diesem Thema mit insgesamt fast 630 000 Teilnehmern hatten diejenigen, die fünf Mal mehr trainierten als die Leitlinien vorgeben (mind. fünf Mal die Woche 30 min moderates Training) sogar den größten Überlebensvorteil gegenüber nur wenig aktiven (bis zu 39%). Dr. Carl Lavie, New Orleans, steht einem exzessiven Ausdauertraining dagegen kritischer gegenüber. Er beobachtete 15 Jahre lang die kardiovaskuläre Gesundheit von 13 000 Joggern gegenüber 42 000 inaktiven Personen. Wer joggte, lebte im Schnitt drei Jahre länger als die Inaktiven. Am größten war der Überlebensvorteil bei geringstem Laufpensum (wöchentlich ein bis zwei Trainingseinheiten, insgesamt <10 km und <52 min). Bei den Top 7% der leistungsstärksten Läufer ging dieser Vorteil allerdings verloren. Laut Lavie könnte zu exzessiver Sport durchaus zu einer kardialen rechtsventrikulären Dilatation und Dysfunktion beitragen, wenn auch nur geringfügig. OH

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