Autoimmune Enzephalitis

Naturmedizin 3/2020

Gegen das eigene Gehirn

Zertifizierte Fortbildung
Wenn sich der Körper selbst angreift, dann stimmt etwas in unserer körpereigenen Programmierung nicht. Unser ansonsten so effektives Abwehrsystem ist verwirrt und kann Freund nicht mehr von Feind unterscheiden. Autoimmunerkrankungen haben weitreichende Folgen. Die Assoziation von Autoantikörper mit neuropsychiatrischen Symptomen, wie wiederkehrenden Anfällen und Beeinträchtigungen von Kognition und Verhalten, hat in der Vergangenheit bereits zu einer immensen Verbesserung in Diagnostik und Behandlung geführt. Eine neue Form der autoimmunen Enzephalitis wurde nun kürzlich von einer deutschen Forschergruppe beschrieben und mit einer individualisierten Therapie behandelt.
Diagnose: Enzephalitis unklarer Genese
Standardmäßig werden in der Diagnostik noch zu wenige Autoantikörper bei Verdacht auf Enzephalitis getestet. Zudem haben die Tests oft eine zu geringe Sensitivität. Somit bleiben seronegative Patienten mit Symptomen und einer Enzephalitis ohne geklärte Ursache oft unzureichend therapiert. Aus diesem Grund hat eine deutsche Forschungsgruppe versucht, die immunologischen Mechanismen bei seronegativen Enzephalitis- Patienten besser zu verstehen und bestenfalls eine individualisierte Therapie zu entwerfen. Zu diesem Zweck wurde das Serum von vier Patienten mit Epilepsie und einer Beeinträchtigung von Kognition und Verhalten ausführlich untersucht.
 
Lösung: Anti-Drebrin-Autoantikörper
Im Westernblot der Patienten konnte eine deutliche Bande bei 70 kDa dargestellt werden, welche in den gesunden Kontrollen nicht vorhanden war. Diese Bande konnte in weiteren Tests als Drebrin identifiziert werden, einem aktinbindenden Protein aus dendritischen Dornfortsätzen. In keiner der Proben konnten bereits bekannte Autoantikörper aus kommerziell erhältlichen Testkits nachgewiesen werden.
Drebrin ist normalerweise intrazellulär in der Postsynapse lokalisiert und spielt eine Schlüsselrolle in der Erregung von Synapsen. Die Forscher nehmen aktuell an, dass die extrazellulär vorhandenen anti-Drebrin Autoantikörper neuronale Endozytose-Mechanismen nutzen, um in die Zelle zu gelangen und an das dort vorhandenen Drebrin binden. Die In-Vitro -Exposition von primären hippocampalen Neuronen mit Anti-Drebrin-Autoantikörpern führte zu einer abweichenden Synapsenzusammensetzung und Drebrin- Distribution, einer erhöhten Anzahl an Dornenfortsätzen auf den Neuronen sowie einer Hypererregbarkeit des neuronalen Netzwerkes. Dieser Effekt konnte bereits nach weniger als 30 Minuten nach Inkubation mit Anti-Drebrin-Autoantikörpern beobachtet werden, was eine direkte Bindung des Antikörpers sehr wahrscheinlich macht.
Es wurden erhöhte Proteinlevel in allen vier Patienten sowie eine mononukleare Pleozytose in einem Patienten nachgewiesen. In T2-gewichteten MRT-Aufnahmen konnten dynamische Größenveränderungen im Hippocampus und eine extrahippocampale Atrophie gezeigt werden. Bei drei Patienten führte eine individualisierte Immuntherapie zu einer deutlich verbesserten Kontrolle der epileptischen Anfälle und neuropsychologischen Beeinträchtigungen sowie einem Abfall des Autoantikörpertiters.
Die Anti-Drebrin-Autoantikörper definieren demnach ein chronisches Syndrom mit im Erwachsenenalter wiederkehrenden fokalen epileptischen Anfällen und neuropsychiatrischer Beeinträchtigung, sowie einer Entzündung von limbischen und teilweise auch kortikalen Strukturen im Gehirn. Die untersuchten Patienten entwickelten im Verlauf der Erkrankung eine subakute progressive Enzephalitis mit starken neuropsychiatrischen Symptomen und teilweise fokalen epileptischen Anfällen sowie Status epilepticus. Die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass individualisierte immunsuppressive Therapien zur adäquaten Behandlung in Betracht gezogen werden sollten.


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle: Pitsch, J et al.: Drebrin autoantibodies in patients with seizures and suspected encephalitis. Ann Neurol. 2020. doi: 10.1002/ana.25720
ICD-Codes: G04.9

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