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NATUR+PHARMAZIE 1/2020

Die Zukunft des Typ-1-Diabetes

Diabetes mellitus Typ 1 (T1DM) ist bekanntermaßen eine Autoimmunerkrankung, bei der immunvermittelt pankreatische ß-Zellen zugrunde gehen, was in einer lebenslangen Abhängigkeit des Patienten von exogenem Insulin resultiert. Bei zahlreichen anderen Krankheitsentitäten hat die Immuntherapie in den letzten Jahren rasante Fortschritte erzielt. Das führte auch zu einem Paradigmenwechsel in der Diabetologie. Aber wie ist der aktuelle Stand tatsächlich, auf welche neuen Therapien setzen Forscher, und wo gibt es heute bereits positive Studienergebnisse?
In der 1980er Jahren entwickelte sich das Verständnis des T1DM als ein chronischer Prozess, der sich klinisch durch das Auftreten von Autoantikörpern (AAK) manifestiert. Die Entdeckung des Insulins machte aus der zuvor akuten und tödlichen Erkrankung eine chronische, die mit der exogenen Zufuhr von Insulin therapiert werden kann.
Der Typ-1-Diabetes kennt keine „Geschlechterunterschiede“, Männer und Frauen sind in etwa gleich häufig betroffen. Es gibt aber regionale Inzidenz- Unterschiede: 62,5 Fälle / 100.000 Personenjahren in Finnland versus 1 / 100.000 in China. Die Genetik spielt also bei der Krankheitsentstehung eine große Rolle, was auch Studien an monozygoten Zwillingen zeigen konnten. Aber es scheinen auch Umwelteinflüsse an der Genese zu partizipieren, da die Inzidenz in den vergangenen Jahren um 2 bis 3 % gestiegen ist – und diese Zunahme-Rate erklärt sich nicht durch Genetik allein.
 
Diabetes „wegimpfen“?
Die Suche nach möglichen und relevanten Umwelteinflüssen bei der Entstehung des T1DM fokussierte zuletzt stark auf Viren (z. B. Coxsackie-B-, Rubella-, Entero- und Rotaviren sowie CMV und Retroviren). In der DAISY-Studie wurde nachgewiesen, dass eine Infektion mit Enteroviren den „Diabetes- Ausbruch“ bei Hochrisikopatienten beschleunigen kann. Eine Impfung gegen diese Viren könnte also sowohl der Primär- als auch Sekundärprävention dienen.
Zwei weitere Theorien befassen sich mit Faktoren des Darm-Immunsystems und der Hygiene. Zumindest im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass die Tiere in sauberer Umgebung häufiger Diabetes entwickeln. Zudem fand man T1DMMäusen ein verändertes Darm-Mikrobiom. Auch bei Menschen büßt das Darm-Mikrobiom bei Diabetikern an Diversität ein. Ein einzelner pathogener Bakterienstamm konnte aber bislang nicht identifiziert werden. Ebenso zeigten sich zwischen anderen Umgebungsfaktoren und der T1DM-Entstehung nur moderate Assoziationen mit unklarer Signifikanz, z. B. für Mikrobiom- Veränderungen, Ernährung (Stillen), Probiotika, Haustiere oder Infektionen. Die bislang einzige randomisierte Studie mit ausreichender „Power“, die einen Ernährungseinfluss (hoch-hydrolysierte vs. normale Kuhmilch) untersuchte, verlief negativ.
 
Neues Zeitalter Immuntherapie?
Die Immuntherapie hat sich z. B. im Bereich der rheumatischen Erkrankungen rapide entwickelt (z.B. Anti-TNF-alfa- Therapien). Diese Substanzen versprechen eine gezielte Unterdrückung des Immunsystems bei weniger Nebenwirkungen. Daher wurden diese Medikamente auch zur Diabetesvermeidung und -therapie untersucht. So wurde ein CD3-blockierender Antikörper, der ursprünglich für die Transplantationsmedizin entwickelt wurde, auch bei T1DM getestet. Das funktionierte zunächst nicht gut (Zytokin- Sturm), aber nach einer Modifikation zeigte sich in einer Studie, dass Teplizumab die Blutspiegel an C-Peptid bis zu zwei Jahre nach T1DM-Diagnose im Normalbereich halten konnte (nach einem initialen 2-Wochen-Zyklus). Allerdings konnte der Insulinbedarf insgesamt nicht reduziert werden.
ATG ist eine weitere, gegen T-Zellen gerichtete experimentelle Therapieoption (zytotoxisches IgG). In einer aktuellen Studie wirkte ATG auf die ß-Zell-Funktion und besserte das HbA1c. Auf die Normo glykämierate wiederum gab es keinen signifikanten Effekt.
Alefacept ist ein LFA3-Ig-Fusionsprotein, das C D2 b indet, d as ü berwiegend auf Effektor-T-Zellen exprimiert wird. Versus Placebo verlangsamte die Substanz den CPeptid- Rückgang bei neu diagnostiziertem T1DM. Abatacept hingegen (CTLA4-Ig-Fusionsprotein) zeigte versus Placebo keine Wirkung (möglicherweise wegen Unterdosierung in der Studie).
Neben den T-Zellen gerieten aber auch B-Zellen ins Visier der Forscher. Rituximab, das gegen CD-20 auf B-Zellen gerichtet ist, führte vorübergehend zu einer Verbesserung der C-Peptid-Spiegel (nach zwei Jahren allerdings war der Effekt wieder verschwunden).
 
Ist Prävention möglich?
Im Mausmodell suchte man bereits nach zahlreichen Ansätzen zur T1DMPrävention. Die Übertragung der Konzepte auf den Menschen schlug aber meistens fehl. Man weiß, dass die Faktoren Familienanamnese, HLA, AAK und Glucosetoleranz normalerweise über 50 % des T1DM-Risikos innerhalb eines 5-Jahreszeitraumes definieren. Orales exogenes Insulin allerdings vermochte bislang nicht, eine T1DM-Entstehung durch Toleranzbildung nachhalting zu verhindern. Die bislang einzige positive Präventionsstudie untersuchte Teplizumab. Hier hat die FDA mittlerweile einen „Breakthrough Therapy Designation“-Status bescheinigt, um die Substanz in dieser Indikation möglichst schnell an den Patienten zu bringen. Die Substanz schob bei Hochrisiko-Patienten ein T1DMAuftreten um zwei Jahre auf. Der primäre Wirkmechanismus ist dabei allerdings noch nicht völlig verstanden.
Quelle: Warshauer JT et al.: New frontiers in the treatment of type 1 diabetes. Cell Metab 2020; 31: 46-61

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