DÄGfA

Naturmedizin 2/2020

Die wissenschaftliche Grundlage der Kampo-Medizin bei gastroenterologischen Störungen ist nachgewiesen.

Wie kamen Sie zur japanischen Medizin?
Ich wollte schon seit meiner Kindheit Ärztin werden, habe mich gegen Ende der Schulzeit aber gleichzeitig sehr für die ostasiatische Kultur interessiert. Die ostasiatische Medizin ermöglichte die Verbindung beider Interessen, wobei mich Japan besonders anzog. Hier sagte mir der evidenzbasierte rationale Einsatz traditioneller Verfahren in einem modernen Medizinsystem besonders zu. Als Internistin, Gastroenterologin und Japanologin habe ich mich seither als Brückenbauerin zwischen beiden Medizinverfahren und Kulturen verstanden.
 
Was sind die Unterschiede zwischen Kampo-Medizin und chinesischer Arzneitherapie?
Die Kampo-Medizin ist die japanische Variante der ostasiatischen Arzneipflanzentherapie. Sie wurde vor ca. 1.500 Jahren aus China übernommen, hat sich in Japan aber eigenständig weiterentwickelt. Ein wesentlicher Unterschied ist die Anwendung von bewährten fixen pflanzlichen Kombinationen auf der Basis einer modernen Diagnose, nicht die Zusammenstellung von Einzelpflanzen nach einer TCM-Diagnose. Damit sind Standardisierung und Qualitätskontrolle viel leichter machbar, und diese Kombinationen sind heute als moderne Extraktprodukte von hoher Qualität weitverbreitet. Zahl und Dosis der Arzneipflanzen und Rezepturen wurden pragmatisch auf die wirksamsten reduziert, und die Anwendung ist durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse untermauert. Kampo ist heute gut in das moderne japanische Gesundheitssystem integriert. Zum Kampo-Spezialisten kann man sich erst nach dem Facharzt zusätzlich ausbilden lassen, es gibt keinen Sonderweg „Tradtioneller Arzt“ wie in China und keine Heilpraktiker.
 
Bei welchen Erkrankungen wird Kampo-Medizin angewandt, wie wirkt sie und was ist das Besondere?
Kampo-Rezepturen bieten eine ergänzende Therapieoption bei vielen chronischen und funktionellen Erkrankungen. Kampo ist besonders indiziert bei gastrointestinalen Störungen und verschiedenen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie Reizmagen, Reizdarm oder ergänzend bei entzündlichen Darmerkrankungen. Dann bei gynäkologischen Beschwerden, wie Wechseljahresbeschwerden, Dysmenorrhoe bis hin zum Kinderwunsch, bei Schmerzen wie Migräne, Spannungskopfschmerz, Rückenschmerzen, bei Erschöpfung oder Burn-out, zur Immunmodulation bei Allergien und Autoimmunerkrankungen, bei Hauterkrankungen. Hauptwirkungen sind die Verbesserung der Mikrozirkulation, die neurovegetative und endokrine Regulation und die Immunmodulation. Um die Auswahl der Rezeptur individuell für den Patienten zu treffen, greift der erfahrene Kampo-Arzt insbesondere auf die japanische Bauchdeckendiagnose (Fukushin) zurück.
 
Welche wissenschaftlichen Grundlagen bzw. Mechanismen liegen der Kampo-Medizin in der Gastroenterologie zugrunde?
In Japan sind Kampo-Rezepturen als Arzneimittel zugelassen und werden bei ärztlicher Verschreibung von der Krankenkasse erstattet. Daher gibt es eine Fülle wissenschaftlicher Untersuchungen zu Wirkmechanismen anhand von In-vitro- und In-vivo -Studien. Ein gutes Beispiel ist die Rezeptur Rikkunshitō, die seit Jahrhunderten erfolgreich bei Magen-Darm- Beschwerden wie Völlegefühl, Unwohlsein, Appetitlosigkeit und Blähungen angewandt wird. Die Gesamtrezeptur wirkt mukoprotektiv, motilitätsfördernd, spasmolytisch und schmerzlindernd. Auch die Durchblutung der Magenschleimhaut wird an geregt, die Schleimhaut vor Ulcerationen geschützt, der Magenfundus relaxiert und die antrale Magenentleerung beschleunigt. Bei der Verbesserung der postprandialen Magenmotilität wirkt Rikkunshitō als endogener Ghrelin- Enhancer, wodurch auch die Regulierung des Appetits erklärt werden kann. In Studien konnte die verdauungsfördernde Wirkung auch mit einer gesteigerten Sekretion von Somatostatin und Gastrin in Verbindung gebracht werden. Hinzu kommt ein antagonisierender Effekt auf den 5-HT3- Rezeptor-Signalweg. Auch konnte in einem in-vitro Modell gezeigt werden, dass der Gallefluss reguliert und ein Gallereflux reduziert wird. So kann Rikkunshitō in multimodaler Weise ein angegriffenes Verdauungssystem wieder stabilisieren.
 
Gibt es auch klinische Studien?
Basierend auf den pharmakologischen Ergebnissen liegen auch viele klinische Studien zu einer großen Zahl von Rezepturen aus Japan vor. So wurden im Beispiel der Rezeptur Rikkunshitō mehr als 30 prospektive, randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt. Darunter sind drei große placebo-kontrollierte Doppelblindstudien für die Indikation funktionelle Dyspepsie, die eine signifikante Überlegenheit von Rikkunshitō gegenüber Placebo belegen. Auf der Basis der langjährigen Tradition der sicheren Anwendung dieser Rezeptur in Japan und inzwischen auch seit über 20 Jahren in Europa, unterstützt durch die wissenschaftlichen Evidenz, konnte erstmals ein japanisches Kampo-Extraktprodukt in Deutschland als traditionelles pflanzliches Arzneimittel registriert werden und ist nun unter dem Namen Yamato®Gast bei uns in Apotheken frei erhältlich.
 
Kampo-Medizin und Japanische Akupunktur – Was ist das Gemeinsame?
Japanische Kampo-Medizin und Japanische Akupunktur ergänzen sich sehr gut und verstärken sich gegenseitig. Kennzeichen der Japanischen Akupunktur sind sehr feine Nadeln, schmerzlose Stichtechniken mithilfe eines Führungstubus und subtile Moxibustionstechniken. Der Akupunkteur lässt sich bei der Behandlung von der Palpation der Akupunkturpunkte, der Leitbahnen und der Bauchdecke des Patienten leiten. Im Sinne einer konstitutionellen Akupunktur kann eine Besserung chronischer und funktioneller innerer Erkrankungen gelingen, aber auch eine Wirkung auf das vegetative Nervensystem und Schmerzzustände verschiedenster Art erreicht werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: Dr. med. Heidrun Reißenweber- Hewel, M.A., Fachärztin für Innere Medizin und Schwerpunktbezeichung Gastroenterologie, hat ein Akupunkturdiplom der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA), einen Lehrauftrag am Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde der Technischen Universität München, ist Dozentin für Kampo-Medizin der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA) und Honorary President der Internationalen Gesellschaft für Japanische Kampo-Medizin (ISJKM).

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